Foto und Copyright: UNS

Das Märchen von den Kirschblüten

Ist Ihnen aufgefallen, dass seit Kurzem eigenartige Kirschblüten rund um den Alexanderplatz hängen? “Wo kommen die denn her?” werden Sie fragen. Wir haben geforscht und sind auf ein altes unbekanntes Märchen gestoßen, das wir Ihnen hier einmal wieder erzählen wollen:

* Es war einmal ein Seidenbaron in Creveldt, der verstand sich trefflich auf die Fabrikation allerfeinsten Tuches aus dem edelsten aller Stoffe: der Seide. Nun aber, in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts, lieferten ihm seine Produzenten eine Rohseide, die keinesfalls seinen Ansprüchen genügte , zu faserig, zu knäuelig, ja geradezu knotig war sie, dass er meinte, sie könne für seine verwöhnte Kundschaft nicht die glänzende Geschmeidigkeit annehmen,  die seine Waare für gewöhnlich auszeichnete.

* Aus dem fernen, sagenumwobenen Japan, das sich Reisenden seit Jahrhunderten verschlossen hatte, drang zu ihm die Kunde, dass es dort die beste Seide des ganzen Erdenrundes gäbe. So beschied er, sich aufzumachen in dieses Land am anderen Ende der Welt, um herauszufinden, was es damit auf sich hätte und wie es die Menschen dort fertig brächten, eine solche Fertigkeit an den Tag zu legen. Er erwog auch, größere Mengen des Stoffes in seine Heimatstadt mitzuführen.

* Nach einer beschwerlichen Reise von sechs Wochen traf er in diesem fremden Lande ein und begab sich stracks zu einer Familie, von der er gehört hatte, dass sie Seide in meisterlicher Qualität herstellte. Schon bei seiner Ankunft – er wurde mit aller Freundlichkeit empfangen und aufgenommen – fiel sein Auge auf ein liebreizendes Mädchen des Namens Yumiko, die Tochter des Hauses, die nicht nur wunderschön war, sondern sich mit solcher Anmut gab, dass er sich für sie Hals über Kopf in Liebe entflammte.

* Sein Aufenthalt in dieser überaus gastfreundlichen Familie hatte noch nicht einmal sechs Wochen gewährt (man feierte daheim gerade das Pfingstfest anno 1856), da fasste sich der Creveldter Kaufmann ein Herz und hielt bei Yumikos Vater um die Hand seiner Tochter an. Der aber bedeutete ihm, dass sie selber bestimmen solle, ob sie ihn erhören wolle. Diese aber neigte ihr Köpfchen und – leicht errötend – sagte, dass sie sich ohne die Blütenpracht der Kirschen, die sie allenthalben im allerzartesten Rosa umgab, ihr Leben nicht vorstellen könne. Er entgegnete mit leicht belegter Stimme, das könne er schon einrichten, sie werde, wenn Hochzeit gefeiert würde, seine Heimatstadt in einen wahren Kirschblütenrausch versetzt sehen.

* Noch in Japan erteilte der wackere Kaufmann an seine Getreuen in der Stadt, auf dem Alexanderplatz, ganz in der Nähe der Webschule, den Auftrag, unzählige Kirschbäume zu pflanzen. Und siehe da, als er nach zwei Jahren in seine Heimat zurückkehrte, sprossen schon erste, zaghafte Knospen an den Bäumen. Weitere drei Jahre später, waren es dicke Knospen, die eine prächtige Blüte erwarten ließen. Sofort sandte er eine Botschaft an seine geliebte Yumiko, dass es jetzt so weit sei, sie in vier Wochen dort sein möge, für die Hochzeit sei alles bereitet.

* Yumiko machte sich freudig auf die Reise, aber Stürme auf See und ein langer Winter an der Seidenstraße hielten sie ungebührlich auf, die Kirschen drohten vor ihrer Ankunft zu verblühen. Da bat der zerknirschte Kaufmann seine Mitbürger, ihm zu helfen, sein Lebensglück zu retten. Eine besonders wache Dame der städtischen Gesellschaft, schlug vor, gemeinsam mit vielen anderen der Handarbeit kundigen Frauen eine so große Zahl von Kirschblüten zu häkeln, dass sie die Stelle der echten Blüten einnehmen und statt ihrer die Bäume schmücken könnten. Gesagt, getan!

* Als Yumiko ihre Füßchen endlich in das Samtweberviertel setzte, leuchteten die Bäume in allerzartestem Rosa. Sie bemerkte die Täuschung wohl, war aber so berührt von der Zuneigung der Einwohner und der Liebe ihres Zukünftigen, dass sie sich zu bleiben entschied und  ihrem Bräutigam auf der Stelle ihr Ja-Wort zu geben.

* Viele fleißige Hände haben dann Jahr für Jahr zum Kirschblütenfest die Bäume in Creveldt geschmückt.

Diese schöne Tradition wurde vom hektischen Weltenlauf verschüttet. Nun endlich haben die Engagierten aus dem Projekt Handarbeit daran angeknüpft und sage und schreibe 1.500 Blüten gehäkelt. Ihnen und dem Erzähler dieser Geschichte gilt unser großer Dank!

One Response to Das Märchen von den Kirschblüten

  1. willi sagt:

    Eine tolle Geschichte. Leider konnten wir aus technischen Gründen das Kirschblütenfest nicht
    besuchen. Wenn alle so denken wie Ihr, gäbe es keine Kriege auf der Wellt. Macht weiter so.
    Gruß von Willi.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« »