Foto: Katrin Mevißen, Copyright: MUR/UNS

Warum sind die Straßen krumm? Eine historische Spurensuche mit Georg Opdenberg im Samtweberviertel

Eine Stadt sei ein bisschen wie ein altes Kleidungsstück, das lange getragen wurde, etwas abgewetzt ist und – weil es geliebt wird – hier und da Flicken hat. Diese kleinen Reparaturen und Nahtstellen bleiben immer Teil des ursprünglichen Stücks, sie erzählen Geschichten.

Mit dieser schönen Metapher nimmt Georg Opdenberg – Landvermesser und ehemaliger Mitarbeiter der Stadt Krefeld – gut 20 Besucherinnen und Besucher mit auf Spurensuche. Er zeigt den konzentrierten Zuhörern Details, die in der Regel im Alltag verschwinden, aber viele Hinweise auf die größeren Zusammenhänge geben, die die Ursprünge der Seiden- und Samtweberei, die Gründe für manche baulichen Brüche und die Ursachen für die Straßenführungen erklären.

Vielleicht wussten Sie schon, dass die Corneliusstraße und der Corneliusplatz so prächtig sind, weil sie die historische Achse auf die königliche Webschule bildeten und man sowohl mit den Fassaden als auch mit der Allee diesem wichtigen Ort in Krefeld einen großen Auftritt organisieren wollte. Aber wussten Sie auch, dass die Straße 25 Meter breit gebaut werden konnte, weil jeder Anlieger verpflichtet war, einen Teil der Straße von maximal 13 Meter Tiefe mit zu finanzieren?

Oder sind ihnen schon einmal die zugemauerten Kellerfenster an der Alten Samtweberei in der Tannenstraße, aber auch an vielen anderen Häusern im Viertel aufgefallen? Die Menschen haben sich im zweiten Weltkrieg in die Keller geflüchtet und mussten sich vor Splittern, vor Feuer oder auch Gas schützen.

Die meisten dieser Keller befinden sich in den sogenannten Krefelder Häusern. Das sind Häuser aus dem 19. Jahrhundert, mit Stuck an der Fassade und sehr flexiblen Grundrissen. Hinter den drei oder vier Fenstern zur Straßenseite stand jeweils ein Webstuhl. In den Häusern wurde produziert und gelebt, meist mit mehreren Familien unter einem Dach, oft in heute unvorstellbar beengten Zuständen. Obwohl die Weber scheinbar eigene Webstühle besaßen, waren sie Teil eines ausgeklügelten Verlagswesens. Man würde es heute wahlweise Sklaverei oder Scheinselbständigkeit nennen. Je nach dem. Denn die Webstühle mussten von den Fabrikanten geleast und die benötigten Materialien, die vorher abgewogen wurden, auf Pump gekauft werden. Diesen Zusammenhang beklagte auch Heinrich Brauns, der eine Zeit Kaplan in der Josefkirche und anschließend Arbeitsminister in der Weimarer Republik war, in seiner Dissertation über das Weberelend. Ganz anders motiviert war dagegen der „Seidenbaron“ und spätere „Wohltäter der Stadt“ Cornelius de Greiff, nachdem benachbarte Straße und Platz benannt wurden.

Geprägt wurde das Viertel vor allem durch die Menschen, die dort lebten und arbeiteten. Die meisten von ihnen waren Einwanderer, erst aus der näheren und weiteren Umgebung und später dann aus aller Herren Länder. Sie kamen, um in Krefeld ihr Glück zu machen. Das hat die Bevölkerung des Viertels nicht nur bunt gemacht, sondern, begründet durch die religiöse Toleranz, auch reich.

Auch der Stadtgrundriss selbst ist interessant. Auf den ersten Blick sei – so Opdenberg – alles rechtwinklig, aber auf den zweiten Blick sähe man, dass die Tannenstraße Richtung Norden einen Knick mache oder dass sich Lewerentzstraße und Wälle nicht rechtwinklig zueinander verhalten. Die Ursachen dafür sind (mindestens) zweierlei. Zum einen waren einige Feldwege schon vor der großen Planung bebaut gewesen (zum Beispiel die Lindenstraße) und man hat die schräge Straßenführung akzeptiert. Zum anderen haben die Bauherren und Stadtplaner begriffen, dass endlos lange Achsen irgendwann trist aussehen und deshalb ganz bewusst Knicke geplant, die Orientierung bieten (Tannenstraße).

Und so gab es an allen der insgesamt 10 Stationen Erstaunliches und Anrührendes zu berichten, was das Viertel und die gesamte Stadt Krefeld prägt.

Wir hoffen, dass das nicht die letzte Spurensuche mit Georg Opdenberg war und freuen uns schon heute auf den Rundgang mit Dr. Ingrid Schupetta, die uns am 15. Juni 2015 entlang der Stolpersteine die Geschichten von Familien näher bringen wird, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes wurden.

2 Responses to Warum sind die Straßen krumm? Eine historische Spurensuche mit Georg Opdenberg im Samtweberviertel

  1. Reiner Gropp sagt:

    Schade, ich wäre gern dabei gewesen. Hoffentlich wird es wiederholt.

  2. Reinhard Brauckhoff sagt:

    Auch ich wäre gerne dabei gewesen und kann mich der Hoffnung von Herrn Gropp nur anschließen. Als noch nicht Krefelder, der vielleicht ab Frühjahr in der alten Samtweberei wohnen wird, könnte ich mir vorstellen, dass noch mehrere zukünftige Samtwebereimieter an einer Wiederholung mit Herrn Opdenberg interessiert wären. Leider kann ich auch an dem nächsten Rundgang (15.06.) aus beruflichen Gründen nicht teilnehmen. Für mich ist es, von auswärts gesehen, schon beeindruckend, wie lebendig das Samtweberviertel ist und freue mich schon bald mit dazu beitragen zu können.
    Mit herzlichen Grüßen Reinhard Brauckhoff

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