Foto: Frauke Burgdorff, Copyright: UNS

Stolpersteine im Samtweberviertel – Geschichtsrundgang erinnert an Opfer der NS-Herrschaft

Vor 20 Jahren verlegte der Künstler Gunter Demnig seine ersten “Stolpersteine” in Köln – damals noch ohne behördliche Genehmigung. Stolpersteine, das sind Betonwürfel mit etwa zehn Zentimeter Kantenlänge auf denen oben eine Messingplatte angebracht ist. Diese Steine werden niveaugleich im Straßenpflaster eingelassen, so dass eigentlich niemand darüber stolpern kann. “Stolpern” sollen die Menschen allerdings über die Botschaft der Aktion: Die Steine markieren den letzten (selbstgewählten) Wohnort von Verfolgten des Nazi-Regimes.

Inzwischen hat Demnig europaweit über 50.000 Stolpersteine verlegt. In Krefeld gibt es bis jetzt 81 der kleinen Gedenksteine für die Opfer des nationalsozialistischen Terrors, von denen Zwanzig gerade erst Anfang Juni platziert wurden.

Die Stolperstein-Tour durch das Samtweberviertel startet natürlich auf der Lewerentzstraße – unmittelbar vor dem Eingang zum Pionierhaus. Bei strahlendem Sonnenschein sind an die zwanzig Menschen zusammengekommen, die mehr über den dunklen Teil von Krefelds Geschichte erfahren möchten. Bereits kurz nach dem Start erfahren die Geschichtsinteressierten, dass auch der Name der “Hauptstraße des Viertels” einem Opfer des Nazi-Regimes gehört: Friedrich (Fritz) Lewerentz war ein sozialdemokratischer Krefelder Politiker, der noch kurz vor Kriegsende auf einem “Todesmarsch” zum Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde. Aus politischen Gründen gelang auch ein weiterer mit einem Stolperstein geehrter Krefelder in die Mühlen des Terrors, Willi Jans, der zum Zeitpunkt seiner Ermordung gerade einmal 23 Jahre alt war. Sein “Verbrechen” war die Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Antifaschisten. Nach Deutschland zurückgekehrt wurde er verhaftet und starb 1943 im KZ Dachau.

Die meisten durch Stolpersteine geehrten Opfer des NS-Wahnsinns waren ganz normale Krefelderinnen und Krefelder, die nur aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit verfolgt wurden. Menschen wie Clementine Frank aus der Breiten Straße, die Familie Daniels aus der Lindenstraße oder die Bruckmanns, deren ehemaliges Wohnhaus noch heute auf dem Südwall steht. Vor dem Dritten Reich hatten die meisten deutschen Juden ganz selbstverständlich am gesellschaftlichen Leben teilgenommen, hatten ihre Geschäfte betrieben und problemlos Tür an Tür mit ihren nichtjüdischen Nachbarn gelebt. Viele jüdische Männer hatten im ersten Weltkrieg ihr Leben für das Kaiserreich in Gefahr gebracht oder sogar geopfert. Dass die Normalität ein dünnes Eis war, mussten diese Menschen nach 1933 auf schmerzliche Weise erfahren. Nach und nach wurden sie aus der deutschen Gesellschaft verbannt, um ihre bürgerlichen Rechte gebracht und, wenn sie nicht fliehen konnten, schließlich in die Todeslager deportiert.

Auch beim Geschichtsrundgang an einem sonnigen Montagabend bricht das Grauen immer wieder in die ansonsten entspannte Stimmung ein. Immer wenn Dr. Ingrid Schupetta von der Krefelder NS-Dokumentationsstätte an einem der Stolpersteine stehen bleibt und von den Geschichten der Opfer erzählt, wird klar, dass hier in der unmittelbaren Nachbarschaft Menschen gelebt haben, die einem unglaublichen Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Um sie symbolisch zu ehren und zugleich mitzuhelfen, ihr Andenken in der Öffentlichkeit wach zu halten, werden alle Stolpersteine auf der Tour gereinigt und poliert. Immer wieder kniet jemand auf einer Schaumstoffmatte vor einer der kleinen Messingplatten und wienert sie, bis sie wieder richtig glänzt und leuchtet. Für zufällig Vorbeikommende mag das sich bietende Bild eines auf der Straße knienden von mehr als einem Dutzend “Schaulustigen” umstandenen Menschen merkwürdig, ja sogar komisch erscheinen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wissen, dass sie hier einen Dienst an der Geschichte vollbringen und zugleich dazu beitragen, den Blick für aktuelle Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten zu schärfen.

Informationen zu den Stolpersteinen: www.villamerlaender.de, www.stolpersteine.eu

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